Das Kernmodell
Das Kernmodell der Komplementären Führung thematisiert die grundlegenden Aspekte und Mechanismen der Personalführung in Organisationen.
Gesamtschau der drei Kernelemente
Die Komplementäre Führungstheorie beschreibt Führung als Bündel von mitarbeiterbezogenen Aufgabenstellungen, in denen sich die beiden Dienstleistungsfunktionen der Ordnung und der Unterstützung konkretisieren und die von mehreren Akteuren – u.a. dem Mitarbeiter selbst – übernommen werden. Mit diesen drei Kernelementen bildet die Komplementäre Führungstheorie sozusagen den Gegenentwurf zur verbreiteten Vorstellung vom Führen als einem persönlichkeitsbasierten oder systemischen Beziehungsphänomen (= hier fehlen klar definierte Führungsaufgaben), das durch Führungskräfte bewirkt wird (= hier fehlen die übrigen Akteure) und diesen ein herrschaftsartiges Selbstverständnis zugesteht (= hier fehlt der Dienstleistungsgedanke).
Komplementäre Führungsfunktionen: Führen als Dienstleistung
Organisationale Personalführung ist eine interne Dienstleistung. In Bezug auf den Geschäftsbetrieb hat sie zwei komplementäre (d.h. sich ergänzende) Funktionen. Die Unterstützungsfunktion besteht darin, den Mitarbeitenden zu helfen, ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Die Schlagwörter „Fördern“ und „Mitarbeiterorientierung“ mögen dies verdeutlichen. Die Ordnungsfunktion besteht darin, die Leistungserbringung der Mitarbeitenden zu disziplinieren und zu beaufsichtigen. Die Schlagwörter hier lauten „Fordern“ und „Produktionsorientierung“. Beide Funktionen konkretisieren sich in den Führungsaufgaben (s.u.), wobei jede Führungsaufgabe sowohl unter Ordnungs- als auch unter Unterstützungsgesichtspunkten zu sehen ist. Führungstheoretisch knüpft das Modellelement damit an den Ansatz des „Führens als Dienstleistung“ sowie an die klassische Dualität „Mitarbeiter- vs. Produktionsorientierung“ an. Es hat den Stellenwert eines Grundsatzprinzips und ist vor allem von praktischem Wert: Die Idee des Führens als doppelter Dienstleistung gibt Führenden Orientierung und beugt destruktiver Führung vor.
Komplementäre Führungsaufgaben: Führen als Aufgabenbündel
Personalführung besteht aus 24 Aufgaben, die sich in acht Kategorien zusammenfassen lassen: „HR-Normen setzen“, „Einstellen, binden, trennen“, „Administration gewährleisten“, „Arbeitsaufgaben steuern“, „Zusammenarbeit gestalten“, „Kompetenz und Entwicklung fördern“, „Fürsorge gewähren“ und „Motivation stiften“. Dem liegt die Prämisse zugrunde, dass genau diese Einflüsse erforderlich sind, um nachhaltig menschliche Arbeitsleistung zu erzeugen. Das Modell steht damit in der führungstheoretischen Tradition normativer Aufgabenmodelle der Führung. Die Führungsaufgaben werden allerdings nicht als Tätigkeiten, sondern als abstrakte Aufgabenstellungen verstanden, die über das Umsetzungselement der Führungsroutinen (s.u.) zu verwirklichen sind. Alle 24 Führungsaufgaben zusammen ergänzen sich zur Gesamtaufgabe der Personalführung. Dabei umfasst die Kategorie „HR-Normen setzen“ die Aufgaben der konstitutiven und strategischen Personalführung; die anderen sieben Kategorien sind operativer Natur und werden durch diese Normen vorstrukturiert.
Komplementäre Führungsakteure: Führen als Geteilte Führung
Personalführung obliegt mehreren Hauptakteuren, die komplementär zusammenwirken: Dem Mitarbeiter, seinen Kollegen, der Führungskraft, der oberen Führungskraft und dem Personalbetreuer. Das vorrangige Führungsprinzip sollte Selbstführung sein, d.h. der Mitarbeiter sollte möglichst alle Führungsaufgaben selbst übernehmen. Da nicht alle Mitarbeiter dies immer vollumfänglich tun, muss die Führungskraft bei Bedarf kompensatorisch intervenieren. Tut sie dies nicht, obliegt es wiederum der oberen Führungskraft und dem als „HR-Co-Manager“ agierenden Personalbetreuer, kompensatorisch einzugreifen (Abbildung). Die Interventionen können jeweils korrigierend, gemeinsam, delegativ oder substituierend erfolgen. Die komplementären Akteure ergänzen sich also und erfüllen kollektiv die 24 Aufgaben der Personalführung. Der kompensatorische Mechanismus gewährleistet dabei zum einen, dass sämtliche auf die Mitarbeiter bezogene Führungsaufgaben auch bei Untätigkeit der Führungskraft tatsächlich wahrgenommen werden und sichert so eine wirksame Personalführung. Zum anderen ist dieses mehrinstanzliche System geeignet, einem Machtmissbrauch der Führungskraft vorzubeugen. Das Modellelement der komplementären Führungsakteure greift führungstheoretisch den Ansatz der Geteilten Führung auf, der mit dem Konzept der Selbstführung und mit vertikal-hierarchischer Autoritätsausübung nach dem Ausnahmeprinzip kombiniert wird.